Strandwald mit Sumpfgras
Zurück am Lake Michigan. Ja, sie nennen das Lake, die Amerikaner. Aber dieser “See” ist 58’000 Quadratkilometer gross (die gesamte Schweiz hat eine Fläche von 41’000 km2) und fühlt sich, zumindest für mich, an wie ein Meer. Ich denke, das ist dann irgendwann einfach Definitionssache.
Man stelle sich einen Waldweg vor, durch hohe, grossenteils herbstverfärbte Baumbestände. Doch der Weg ändert seinen Untergrund, ist bald mehr feucht, bald kiesig und dann plötzlich mehr und mehr sandig. Und wo es einmal weiter hinunter geht, wartet der Strand. Auch die Vegetation ändert sich im Indiana Dunes National Park innert ein paar hundert Meter, der Strand verwandelt sich in eine kargige Steppenlandschaft mit Gras, dann kommt wieder Wald, dann Sumpf und Morast. Man bekommt das Gefühl, als wandere man gleichzeitig in unterschiedlichen Regionen. Richtig anstrengend wird es nur, wenn man die Dünenhöhe, die man eben verloren hat, wieder irgendwie zurückgewinnen soll. Und es ist nicht die Steigung an sich, die happig ist, sondern der sandige Boden unter den Wanderschuhen. Glücklicherweise hatte ich das im Mai ja in der Region Sedona trainiert.
Ich besuche sowohl den Nationalpark wie auch den gleichnamigen Statepark und hänge Trail an Trail, erledige die „3 Dunes Challenge“ (mit Fotogepäck und mässiger Kondition freilich nur marschierender- und nicht etwa joggender Weise) und sammle in erster Linie Eindrücke, von denen ich weiss, dass sie Erinnerungen werden. Ab und an nehm ich mir die Zeit, ein Foto genauer zu konstruieren, schraube an den Einstellungen herum, dann wieder belasse ich es bei zwei-drei Schnappschüssen. Ja, alleine zu wandern, das hat Vorteile. Ich entdecke sogar jenen Flow an Gedanken, den kreative Menschen immer mal wieder erwähnen, und für den sie einem raten, jedwede Notizen sofort aufzuschreiben oder sie in sein Telefon zu plappern. Ich tue letzteres und ertappe mich dabei, wie ich das schon automatisch auf Englisch tue.
Das Wetter hier ist weitgehend gnädig, hier und dort bereichern ein paar Wolken die Szene, grossenteils aber bin ich froh, hatte ich ein paar Dollar in Sonnencreme investiert – beim ersten Mal musste mir Rachel noch aushelfen, weil ich schlicht nicht damit gerechnet hatte, wie sonnig der Indian Summer noch sein würde. Am Abend setze ich mich in Michigan City ans Ufer und gucke mir einen kitschigen Sonnenuntergang an. Daran könnte man sich auch gewöhnen. Allerdings dürfte es hier oben bald schon einiges kühler werden. Auch ein Indian Summer dauert eben nicht ewig.